Einführung der ‘papierlosen’ Stadtratsarbeit 28. Oktober 200929. September 2014 Beschlussvorschlag Der Stadtrat befürwortet die langfristige Einführung der ‚papierlosen’ Stadtratsarbeit. Erste Erfahrungen sollen mit einem freiwilligen Pilotprojekt gemäß dem Ergebnis der interfraktionellen Arbeitsgruppe gesammelt werden. Teilnehmende Stadträtinnen und Stadträte erhalten leihweise ein Notebook zur Verfügung gestellt und verzichten auf die Zustellung von Papierdokumenten. Der Pilotversuch soll möglichst zum Sommer 2010, spätestens aber zum Jahresbeginn 2011, starten. Nach zwei Jahren erfolgt eine Evaluierung. Begründung Zahlreiche andere Städte haben uns inzwischen vorgemacht – darunter als besonders gut vergleichbares Beispiel Magdeburg – dass moderne Stadtratsarbeit wesentlich effizienter und umweltfreundlicher möglich ist, als mit dem gewaltigen Berg von Papier und Kopien, der momentan Monat für Monat in Halle produziert und dann nach kürzester Zeit wieder entsorgt wird. Zurzeit erfolgt noch immer ein unnötiger Medienbruch, werden alle Unterlagen ausgedruckt oder kopiert, an die Stadträtinnen und Stadträte in Papierform versandt. Dadurch entstehen der Stadt Kosten, wird die Umwelt belastet, die Stadträtinnen und Stadträte müssen teilweise schwere Papierstapel mit sich führen und zudem sind umfangreiche Papierunterlagen wesentlich schwerer zu erfassen, als dies mit elektronischen Hilfsmitteln möglich würde. Als eindringlichstes Beispiel seien nur die jährlichen Haushaltsberatungen genannt, die sich mit einer elektronischen (und beispielsweise schnell durchsuchbaren) Vorlage deutlich einfacher gestalten dürften, als mit den unfangreichen Papierversionen, von denen viele Zwischenversionen innerhalb kürzester Zeit zu Papiermüll werden. Ein weiteres Beispiel sind die vielen teuren farbigen und großformatigen Planungs- und Bebauungsunterlagen. Würden alle Unterlagen digital vorgelegt, so könnten auch so aufwändige Aktionen wie die Kurierzustellung der Verwaltungsantworten und -vorlagen jeweils am Freitag vor Stadtratssitzungen entfallen. Nicht zuletzt könnten Bürgerinnen und Bürger von einem weiter ausgebauten Ratsinformationssystem profitieren. Wir beantragen daher aus Gründen des Umweltschutzes, zur Kostenreduzierung und zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit die Einführung des „papierlosen Stadtrats.“ Inzwischen gibt es ausgereifte, in vergleichbaren Städten schon lange produktiv eingesetzte Softwarelösungen für diesen Zweck, die bei entsprechender Entschlossenheit den Papierverbrauch (und dessen Folgekosten und Umweltfolgen) bis auf ein Minimum reduzieren können. Uns ist nicht ersichtlich, warum Halle da länger zurückstehen sollte. In der Regel werden derartige kombinierte System aus zentralen Softwarelösungen und Notebook-Arbeitsplätzen durch die Stadträtinnen und Stadträte nach kurzer Zeit aufgrund ihrer inhärenten Vorteile (digitale Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung von Sitzungen; Kommunikation; vergleichsweise geringes Gewicht) sehr gut angenommen – in Magdeburg nutzen inzwischen 55 von 56 Stadträten das System. Und die Kommunen können sparen: Die einmaligen und regelmäßigen Kosten (Anschaffung Notebooks und Software, Wartung System) werden durch Kosteneinsparungen durch den weitestgehende Verzicht auf Papiervorlagen gegenfinanziert, z.B. bei Kopier-, Porto- oder anteiligen Personalkosten. Da die Stadtverwaltung schon beim Ratsinformationssystem auf die Software SESSION der Firma SOMACOS einsetzt, sollte geprüft werden, auf dieser Basis weitere Produkte wie MANDATOS (mit dem Madgeburg seine papierarme Stadtratsarbeit umsetzt) und PORTAL (als Arbeitslösung für die Fraktionen) einzusetzen. Gleichwohl sollten alternative Softwarelösungen anderer Anbieter, insbesondere auch OpenSource-Lösungen, hinreichend ernsthaft geprüft werden, so dass in jedem Fall die bestmögliche, statt nur diese naheliegende, Lösung Verwendung findet. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass auch bei nur zeitweise verfügbarem Internet-Zugang die Nutzung möglich ist (Offline-Fähigkeit). Zudem müssen Datensicherheits- und Datenschutzprobleme besonders aufmerksame Beachtung finden. Vorteile für die Stadt(verwaltung) Kosteneinsparungen CO2-Reduktion, geringerer Umweltverbrauch (kann durch die Verwendung möglichst wenig umweltbelastender, energiesparender und langlebiger Geräte noch verbessert werden) Aufwandsreduktion, höhere Mitarbeiterproduktivität (mehr Zeit für Inhalte statt Ärger mit Kopierproblemen) strukturell mehr Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger: nach Umstellung auf ein volldigitales System können auch mehr Unterlagen für Bürger über SESSION freigeschaltet werden Vorteile für die Stadträtinnen, Stadträte und Fraktionen bessere Arbeitsmöglichkeiten: strukturierter Zugriff auf Unterlagen statt Blättern im Papierstapel; Erschließung über Suchfunktionen (z.B. bei Haushaltsberatungen); schnelle Zur-Verfügung-Stellung von Vorlagen; bessere Kommunikation mit den Geschäftsstellen; … stets Zugriff auf alle Unterlagen (quasi das Archiv in der Tasche) geringeres Gewicht (mit leichten Geräten ab 2 kg) bessere Arbeitsmöglichkeiten für die Fraktionsgeschäftsstellen Kommunikationsverbesserungen innerhalb der Fraktionen (falls Modul für elektronische Fraktionsarbeit eingeführt und genutzt wird) Pilotprojekt Nach Einbringung dieses Antrages in den Stadtrat tagte auf Anregung der Stadtverwaltung eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aller Fraktionen und der Stadtverwaltung (Dezernat I, Geschäftsstelle Stadtrat, IT).Während dreier Sitzungen wurden die Vorstellungen der Fraktionen und die denkbaren Umsetzungsvarianten zu einem konkreten Vorschlag fortentwickelt: die grundsätzliche Umsetzung des Antrags, beginnend mit einem Pilotprojekt, möglichst im Sommer 2010, spätestens aber zum 01. Januar 2011. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dankt allen Beteiligten für ihre Unterstützung und Mitarbeit. Anlage 1: Kostenbetrachtung Beispiel Magdeburg: Nach der Einführung des Ratsinformationssystem SESSION im Jahr 2004 begann in Magdeburg ein Reflektionsprozess, um die Kosten der papierintensiven Arbeitsweise zu reduzieren. Man gelangte zu der Überzeugung, durch die komplette Umstellung auf elektronische Arbeitsplätze mindestens 35.000,- € pro Jahr einsparen zu können. Im November 2006 wurde entsprechend der Beschluss zu deren Einführung gefasst. 2007 fand eine viermonatige Erprobungsphase mit 17 Teilnehmern statt. Aufgrund deren Erfolgs wurde die Gesamt-Einführung zum 01.12.2007 gestartet. Da im Laufe dieser, 2009 beendeten, Wahlperiode noch nicht alle Stadträtinnen und Stadträte am System teilnahmen, waren die erzielten Einsparungen zunächst geringer, aber dennoch vorhanden. Mit Beginn der neuen Wahlperiode stellt sich die Situation wie folgt dar: 55 von 56 Stadtratsmitgliedern arbeiten papierlos, bei einer Laufzeit von 60 Monaten für 60 Arbeitsplätze rechnet man in Magdeburg mit jährlichen Betriebskosten zwischen 27.000,- € und 50.000,- €. (Die Angaben schwanken zwischen den Zahlen in Haushaltsplänen und den Angaben von Ratsfraktionen). Das Projekt arbeitet also – je nach Vergleichsmaßstab – mindestens kostenneutral oder aber mit deutlichem Einsparungen. Auch in den Auswertungsberichten anderer Kommunen wird in der Regel von Kosteneinsparungen gesprochen, teilweise bis zu einem Drittel der vorherigen Kosten. Wir gehen also aufgrund der Erfahrungen anderer Städte davon aus, dass eine solche Umstellung mindestens kostenneutral möglich ist, in der Regel aber sogar Einsparungen erzielt werden. Es lassen sich mindestens folgende Kosten bei weitestgehender Beendigung der bisherigen papierbasierten Praxis sparen: Papier (Anschaffung, Transport, Versand, Entsorgung) Kopierer, Drucker & Toner (Anschaffung/Leasing, Betrieb, Wartung, Entsorgung) anteiliger Personalaufwand beim Drucken/Kopieren, Verteilen, Transportieren, Versenden in der Geschäftsstelle Stadtrat, den Dezernaten und Ämtern oder der Hausdruckerei Porto & Transportkosten bei Dringlichkeitsvorlagen Kosten für die elektronischen Arbeitsplätze entstehen durch die einmalige Anschaffung der Notebooks, einmalige und regelmäßige Lizenzkosten für Software sowie Wartung und Reparatur. Beispielrechnung Wir kennen den genauen Papierverbrauch der Stadtratsarbeit in Halle nicht, verfügbare Vergleichszahlen lassen jedoch nach unserer Sicht folgende Beispielrechnung zur Demonstration des Kostenpotentials unseres Vorschlags zu: Gehen wir aufgrund einer vorsichtigen Schätzung davon aus, dass im Durchschnitt jeder Stadtrat pro Monat 1.000 DIN A4 Seiten an Material zugestellt bekommt, so summiert sich dies pro Jahr auf 12.00 Seiten. Macht bei 56 Stadträten schon 672.000 Seiten Papier. Dies wären lt. den Verbrauchszahlen des Papieratlas 2009 etwas mehr als 6 % des Jahresverbrauchs der halleschen Stadtverwaltung (10,8 Millionen Blatt) – also wohl keine ganz unrealistische Annahme. Allein für diese Menge dürften die Papierbeschaffung, das Kopieren und Versenden um die 36.000 € kosten. Die Kosten für großformatige oder farbige Kopien sowie die Kurierlieferungen sind hier noch gar nicht einberechnet. Beispielrechnung Papier: 672.000 Seiten x 0,005 € / Seite = 3.360,00 € Kopieren (Geräte, Toner, Wartung, …): 672.000 Seiten x 0,04 € / Seite = 26.880,00 € Versandkosten: 2 x 4,40 € / Stadtrat & Monat = 5.913,60 € Summe: 36.153,60 € Aus den Berichten vieler anderer Städte und aus diesem exemplarischen Rechenbeispiel schlussfolgern wir, dass sich die Einführung elektronischer Arbeitsplätze für die Stadträte im Laufe einer Wahlperiode rentiert. Anlage 2: Reduzierter Umweltverbrauch Über die Kostenneutralität bzw. Einsparmöglichkeit hinaus spricht aus unserer Sicht der reduzierte Umweltverbrauch und CO2-Ausstoß deutlich für eine papierarme Stadtratsarbeit. Auch wenn der Ressourcenaufwand für die Herstellung von Notebooks ebenfalls nicht unerheblich ist, so sind dennoch deutliche Einsparungen möglich. 2.134 kg 1.540 kg CO2Bilanz Papier Durchschnittswert für 672.000 Seiten DIN A4 CO2Äquivalent für 56 Notebooks Durchschnittswert bei 15h Nutzung/Woche Folgen wir dem obigen Rechenbeispiel weiter, so haben 672.000 Seiten Papier (bei einem Ansatz von 2 kg für 500 Seiten Papier einer Dichte von 80 g/m²) ein Gewicht von 2.688 kg. Dies entspricht einem CO2-Ausstoß von 2.134 kg (die Bilanz einer durchschnittlichen Tonne Papier beträgt laut dem Kritischen Papierbericht 2005 794 kg CO2). Das Fraunhofer Institut Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT hat in der Studie “Ökologischer Vergleich der Klimarelevanz von PC und Thin Client Arbeitsplatzgeräten 2008” die Klimarelevanz verschiedener Computer-Arbeitsplätze gemessen und verglichen. In diesem Vergleich wurden die Produktions-, Herstellungs-, Nutzungs- sowie die Entsorgungsphase berücksichtigt. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass das GWP (Global Warming Potential in kg CO2eq pro Einheit) eines typischen Notebooks bei einer stationären Nutzung als Vollzeitarbeitsplatz und einer Nutzungsdauer von 5 Jahren bei 250 kg CO2eq liegt. Dabei überwiegt die Betriebsphase (mit 63 bis 83 %) deutlich die Herstellungsphase als Emissionsquelle. Rechnet man dies mit einem anteiligen Wert von 75% für die Betriebsphase herunter auf ein Jahr und eine Teilzeitnutzung von 15 Stunden pro Woche, so dürfte der Wert für ein einzelnes Gerät bei 27,5 kg CO2eq liegen, bzw. bei einer Flotte von 56 Geräten bei 1.540 kg CO2eq. Mit dieser Beispielrechnung wird deutlich, dass ein papierarmer Stadtrat auch unter Klimaschutzgesichtspunkten vorteilhaft ist. Da wahrscheinlich der Papierverbrauch noch höher ist als oben angenommen (und man auch noch die Klimafolgen von Transport, Kopiergeräten etc. hinzurechnen müsste), sind hier sogar noch größere klimarelevante Einsparungen denkbar. Ergebnis Antrag als solcher nach Modifizierung und Beratung in Arbeitsgruppe zugunsten der gleiches intendierenden Verwaltungsvorlage V/2010/08822 zurückgezogen – mit dem Anliegen jedoch durch die Zustimmung einer Stadtratsmehrheit Zustimmung zu besagter Verwaltungsvorlage erfolgreich.