Wer ist mein Nächster?

Millionen Menschen befinden sich weltweit auf der Flucht oder sind in Kriegshandlungen verwickelt. Europa zeigt endlich Bereitschaft, den Ursachen hierfür nachzugehen und stößt durch unterschiedliche Bewertungen der Nationalstaaten und der Parteienlandschaft auch gleich wieder an Grenzen. Globalisierungskritik wegen fehlender gemeinsamer europäischer Flüchtlingspolitik soll jedoch an dieser Stelle nicht unser Thema sein. Fest aber steht: Die Bilder und Geschichten flüchtender Menschen haben uns aufgeschreckt.

Zu Beginn unvorbereitet, jetzt der Situation angemessen, aber immer noch mit zu langsamer Abarbeitung der Asylanträge, wird in unserem Land von einer nationalen Aufgabe gesprochen. Bund, Länder und Kommunen stellen sich der Herausforderung. Dabei gilt es, nichts emotional aufzublähen und nicht Ängste zu schüren, aber andererseits auch nichts kleinzureden, weil wir sonst in die Lage kämen, die Herausforderung nicht zu bestehen.

Was ist jetzt zu tun? Unserem Land sowie der Stadt Halle werden Handlungsentscheidungen abverlangt. Wohin werden sie führen? Niemand kann in eine Glaskugel schauen, ob die allseits notwendige Vorbereitung auf Flüchtlingsströme und deren Anpassung gelingt. In unserer Stadt ist ein hohes Maß an bürgerschaftlichem Engagement wahrzunehmen, für das wir uns herzlich bedanken. Aber auch andere Stimmungen werden laut. Können wir diese Aufgabe bewältigen oder können wir das nicht? Aufklärung ist vonnöten; was ist geplant, was kostet wie viel; die finanzielle Belastung insgesamt könnte durchaus beträchtlich werden, auch für unsere Stadt. Fest steht: wir werden uns alle bewegen müssen, manches wird sich verändern. Das ist für die Einen richtig und eine große Chance für eine gerechtere Welt, für Andere eine große Gefahr.

Vielleicht gelingt es uns, die Grenzen von Belastung neu zu justieren und ein Maß zu finden für gelingende Integration von Menschen in Not. Erfahrungen bestätigen, Ängste vor allem Fremden lassen sich am besten
durch Begegnungen mit Betroffenen angehen und überwinden. So manches bereichert dann sogar das eigene Leben. Das schwierige und komplexe Thema der Aufnahme so vieler Flüchtlinge darf nicht den Radikalen überlassen werden!

Orientierung und eine eigene klare Haltung zu unserer Verfassung und zu unseren humanistischen Grundwerten zu finden und sie in Zeiten der Bewährung auch durchzuhalten, gestaltet sich nicht immer ganz einfach. Aber diese Klarheit brauchen wir und müssen sie ebenso eindeutig von allen einfordern, die in unserem Land und in unserer Stadt Schutz vor Krieg und Verfolgung erhalten.

Eine biblische Beispielgeschichte zeigt, wie viele Menschen sich mit Ausreden vorbei schlichen, als sie auf der Straße von Jerusalem nach Jericho einen von Räubern niedergeschlagenen Menschen trafen. Die Straße ist unsicher, die Staaten können sie nicht schützen. Jedoch einer hob den Zusammengeschlagenen auf und half mit Zeit und Geld. So soll es sein, aber die Geschichte lässt sich durchaus weiterdenken. Der Helfende hatte auch Familie, die es ebenso zu unterstützen galt. Sein fortwährendes Helfen bei den ihm fremden und plötzlich vor die Füße gelegten Menschen würde genau seine eigene Familie in Not bringen…

Übertragen wir das Beispiel auf unser Land, so können wir wohl mit Recht sagen: soweit ist es nicht. Deutschland ist nicht in Gefahr, aber der Solidaritätsgedanke in Europa schon. Wir in unserer satten Not können immer noch abgeben und vielleicht sogar teilen; nämlich auch da, wo es mehr oder weniger ein bisschen weh tut.

Auch wir Stadträtinnen und Stadträte werden alles mit unserer Kraft Mögliche tun, um diese  Herausforderung zu bewältigen und den Betroffenen Hilfe und Unterstützung zu gewähren, ohne dabei die Belange aller Hallenserinnen und Hallenser aus den Augen zu verlieren.

(Gemeinsamer Text aller im Stadtrat vertretenen Fraktionen)

Stellungnahme aller Fraktionen im Amtsblatt der Stadt Halle vom 30.09.2015 (pdf, 5,29 MB)